Bäcker mit Laib und Seele
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Das Märchen vom Winzling und den Laugenkastanien

Einst hatte Mark, der damals Lehrjunge war, durch einen Zufall das Laugengebäck erfunden, mit dem er das Herz seiner Angebeteten eroberte. Mark und Meike wurden ein Paar, verlobten sich, und nachdem Mark seine Gesellenprüfung abgelegt hatte, heirateten sie. Fast nichts konnte ihr gemeinsames Glück trüben, denn als Meister Karl in den Ruhestand ging, durfte Mark die Backstube übernehmen und die gute Tradition weiterführen.

Nun waren Mark und Meike schon ein paar Jahre verheiratet, Mark war inzwischen sogar selbst Meister geworden, und Meike war wohltätig und gottgefällig. Nur Kinder blieben ihnen versagt.
„Meike, wir sind auch ohne Kinder glücklich!“, tröstete Mark seine Frau, die mit der Zeit immer unglücklicher wurde.
So unglücklich, dass sie sich zu einem Schritt entschloss, von dem sie hoffte, dass Gott ihr vergeben möge. Denn sie ging zu der alten Frau, die außerhalb der Stadt wohnte, immer am Spinnrad saß oder bei Nacht durch den Wald zog, und die man als Hexe beschimpfte. Ihr klagte sie ihr Leid.
Nun war die Alte weniger eine Hexe als vielmehr eine weise Frau, die kräuterkundig war und Frauen bei mancherlei Leiden half.
„Ich verstehe dich gut, sei unbesorgt. Nimm von diesen Kräutern, Wurzeln und Schalen und koche aus frischem Quellwasser eine Essenz daraus. Davon nimm täglich 3 Löffel ein, in der Zeit von Neumond zu Vollmond. Du wirst sehen, danach wird sich dein Wunsch erfüllen. Aber pass auf, dass wirklich alle Zutaten in den Topf gelangen!“
Sie gab Meike einen Beutel mit, in dem die Zutaten waren und schickte sie – mit Gottes Segen – nach Hause.
Mark war noch in der Backstube, also machte sich Meike schnell daran, die wundertätige Essenz zuzubereiten. Hastig wollte sie alles in einen Topf kippen. Dabei fiel ihr etwas unbemerkt zu Boden. Meike bereitete die Essenz zu und weil gerade Neumond war, nahm sie gleich den ersten Löffel ein.

Abends beim Rausfegen wunderte sie sich über die stachelige Schale einer Kastanie, die unter dem täglichen Unrat war. Doch Meike dachte sich nichts weiter dabei. „Die wird wohl noch vom letzten Herbst hier gelegen haben“.
Bis zum Vollmondtag nahm sie täglich ihren Trank ein und wartete danach einfach ab. Doch auch nach drei Monaten zeigten sich noch keine Anzeichen einer Schwangerschaft. Meike war enttäuscht.
Inzwischen war es Herbst geworden und Meike sammelte wie jedes Jahr die schönen Rosskastanien, um mit den Kindern der Stadt kleine Tierchen zu basteln und um für die Schwiegermutter einen Balsam für deren müde Beine anzusetzen.
Als sie so dasaß und die letzten Schalenreste von den Kastanien entfernte, da fing plötzlich eine der Kastanien an zu bibbern und sich hin und her zu bewegen.
„Huch, was ist das?“, fragte sich Meike erschrocken. Dann plötzlich brach die Kastanie auseinander. Und als Meike hinschaute, lag darin ein winzig kleines Kindchen.

Meike schwankte zwischen Verwunderung und Freude. Doch dann überwog die Freude und sie nahm das kleine Kindchen heraus und wiegte es im Arm.
In dem Moment kam Bäcker Mark nach Hause und wollte seinen Augen nicht trauen. „Schau, Mark, was Gott uns geschenkt hat: ein Kind!“, rief Meike.
„Aber wo kommt es her und warum ist es so winzig klein?“, fragte Mark seine Frau. Und diese erzählte ihm die Geschichte.

Aber herzensgut wie die beiden nun mal waren, nahmen sie das Kind auf und nannten es wegen seiner Größe „Winzling“.
Winzling wuchs nun also bei den beiden heran, wobei er freilich auch nach ein paar Jahren nicht größer als eine Puppe wurde. Aber er war ein lebhafter Junge, vielseitig begabt und einfach liebenswert. Und auch wenn Mark und Meike anfangs mit dem Schicksal gehadert hatten, so waren sie doch nun glücklich und zufrieden, so einen lieben Jungen als Geschenk erhalten zu haben.
Mark hatte ihm mit der Zeit eine Reihe von kleinen Möbelstücken fertigen lassen, damit Winzling leben konnte wie ein normal großer Junge in seinem Alter.
Nur mit den Backwaren seines Vaters hatte er ein Problem, denn die Scheiben der stattlichen Brotlaibe waren einfach zu groß und zu unhandlich für ihn. Und Winzling wollte sein Brot auch nicht klein geschnitten bekommen, denn nur weil er klein an Gestalt war, so war er doch kein Kleinkind mehr.
Da hatte Mark eine Idee, entsann er sich doch sowohl seines eigenen Laugengebäcks als auch der Kastanien, denen Winzling sein Leben verdankte.
Und so erfand er feine kleine Laugenbrote, so klein, dass er sie „Laugenkastanien“ taufte: kastanienbraun, locker, knusprig und geformt wie ein kleiner Brotlaib.
Winzling war begeistert, hatte er doch nun sein eigenes Brot, das er selbst schneiden und belegen konnte und das perfekt zu ihm passte.
Aber auch die anderen Kunden liebten diese kleinen Backwaren, konnte man sie doch wunderbar in jede Tasche stecken und zum Beispiel während der Feldarbeit essen.
Und die weise Frau, die nicht länger mehr als Hexe beschimpft wurde, bekam zum Dank lebenslang jeden Tag frische Backwaren von Bäcker Mark geliefert.

Als Winzling das Alter eines jungen Mannes erreicht hatte und sich zeigte, dass er sich für die Backstube aufgrund seiner Größe einfach nicht eignete, wollte er in die Welt hinaus und ein Studiosus werden. Schweren Herzens ließen ihn seine Eltern ziehen. Und tatsächlich wurde aus ihm ein großer Gelehrter, dessen Schriften in der ganzen Welt berühmt wurden. Und als Bäckermeister Mark zu alt für sein Handwerk wurde, konnten er und seine Frau dank ihres „kleinen großen“ Sohns in Wohlstand ihren Lebensabend verbringen.
Die alte weise Frau hingegen wohnt immer noch am Stadtrand … und spinnt noch immer am Rad des Schicksals.

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