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Weiß wie Schnee, süß wie Honig und leicht wie eine Wolke – das Märchen vom Baiser

Es war einmal ein Bäckermeister aus Dithmarschen, der hatte drei Söhne. Und alle drei waren ihm in sein Handwerk gefolgt und arbeiteten nun schon viele Jahre zusammen mit dem Vater in der Backstube.
Nun aber war die Zeit gekommen, dass sich der Bäckermeister alt fühlte, er konnte auch nicht mehr lange in der Backstube arbeiten und das Leben im Allgemeinen machte ihm zu schaffen.
Da beschloss er, dass einer der drei Söhne die Backstube erben sollte, nämlich der, der am besten backen konnte.

So rief er seine Söhne zu sich und sprach: „Liebe Söhne, es ist Zeit, dass ich die Verantwortung an einen von euch abgebe. Ich will aber keinen von euch bevorzugen, denn ihr habt alle das Handwerk gründlich gelernt von mir und ich habe euch alle gleichermaßen lieb. Daher werde ich euch drei Aufgaben stellen. Wer sie am besten löst, der soll das Erbe antreten.“
Die drei Söhne waren einverstanden und versprachen auch, wer auch immer gewinnen würde, demjenigen weiter in der Backstube zur Hand zu gehen.
„Nun aber zu meiner ersten Aufgabe: Backt ein Brot, das voller Korn ist, aber dennoch so weich, dass es auch alte Leute wie ich gut essen können.“

Die drei Brüder machten sich frisch ans Werk. Und am nächsten Morgen standen sie mit ihren Broten vor ihrem Vater und jeder schnitt eine Scheibe von seinem Brot ab und reichte sie ihm.
Der Bäckermeister verkostete sie nacheinander, dann noch einmal und schaute verwirrt seine Söhne an: „Ich kann keinen Unterschied schmecken! Ihr habt die Aufgabe alle drei gleichermaßen gelöst, sodass ich nicht sagen könnte, wer der Gewinner ist.“
Die Brüder schauten sich erfreut an, denn sie wussten ja, dass sie ihr Handwerk von ihrem Vater gelernt hatten und es daher eigentlich keine Überraschungen geben sollte.

„Nun denn“, sprach der Vater, „dann lasst und zur zweiten Aufgabe kommen, vielleicht löst ihr sie nicht so leicht. Backt ein Gebäck, das lange haltbar ist und gleichzeitig herzhaft und ein wenig süß schmeckt.“
Die Söhne sahen sich verschmitzt an, denn ihnen ging ein und derselbe Gedanke durch den Kopf, nämlich ob denn der Vater selbst vergessen hatte, dass er es war, der einst den Dithmarscher Koogzwieback erfunden hatte?
Sie machten sich also auf in die Backstube und jeder backte eine ordentliche Portion Koogzwieback, die sie ihrem Vater am nächsten Tag brachten.
Der schlug sich mit der Hand an den Kopf und rief: „Kinder, ich werde alt! Wie konnte ich denn den Koogzwieback vergessen? Mein Meisterstück!
Was machen wir denn nun? Lasst mich allein, denn als dritte Aufgabe muss ich nun eine ersinnen, die die Entscheidung bringt.“

Am anderen Tag rief der Vater seine Söhne wieder zu sich: „Nun habe ich eine wirklich schwierige Aufgabe für euch. Etwas, das es noch nie gegeben hat. Ich will es euch nicht zu einfach machen. Aus maximal 3 Zutaten sollt ihr etwas erfinden, das weiß wie Schnee ist, süß wie Honig und leicht wie eine Wolke. Ihr habt drei Tage dafür Zeit.“

Nun schauten sich die drei wirklich ratlos an. Jeder verzog sich in eine Ecke der Backstube, um nachzudenken und zu experimentieren. „Weiß wie Schnee, süß wie Honig und leicht wie eine Wolke?“ Das Problem schien unlösbar. Jeder probierte hin und her, aber am Ende des zweiten Tages hatte noch keiner eine Lösung gefunden, die alle drei Forderungen erfüllte.
Bedrückt trafen sie sich am dritten Tag wieder in der Backstube. Da wagte der jüngste Bruder, Kalle, einen Einwurf: „Ich habe da einen Vorschlag. Wäre es nicht schlau, wir würden gemeinsam nachdenken und unsere Ideen zusammenbringen? Dann präsentieren wir Vater das Ergebnis und das Erbe, also die Backstube, teilen wir uns?“
Erstaunt schauten die beiden anderen ihren Bruder an, überlegten kurz und nickten dann zustimmend: „Ja, warum nicht? Wir sind uns gut, verstehen uns und die Verlierer hätten sowieso dem Gewinner helfen müssen.“

Also machten sie sich ans Werk, berieten, diskutierten Zutaten, verwarfen diese und jene Idee, bis sie sich endlich auf 3 Zutaten geeinigt hatten: Eiweiß, schaumig geschlagen, feinster Zucker und eine kleine Prise Salz. Daraus machten sie eine luftig-leichte Masse, die nur noch in den Ofen musste. Sie durfte aber nicht verbrennen, sondern musste schneeweiß bleiben. Etliche Bleche gingen dahin, bis ihnen endlich kurz vor Mitternacht des dritten Tages ein Gebäck gelang, das alle Voraussetzungen erfüllte.
Am anderen Morgen brachte jeder Sohn einen Korb mit dem neuen leichten Schaumgebäck dem Vater. Der war höchst erstaunt, als er die kleinen Gebäckstücke sah und verkostete, denn – ehrlich gesagt – hatte auch er keine rechte Idee, wie diese Aufgabe zu lösen sei.
Denn tatsächlich waren die kleinen Gebäckstücke weiß wie Schnee, süß wie Honig und so leicht wie eine Wolke.
Das Schaumgebäck zerging im Mund, sodass der Vater verzückt ausrief: „Das schmeckt wie der Kuss einer liebenden Frau!“
Die Söhne waren stolz, dass sie die Aufgabe erfüllt hatten und beichteten dem Vater, was sie gemeinsam in der Backstube vereinbart hatten. „So soll es sein“, stimmte der Vater zu. „Teilt euch das Erbe gerecht und werdet die besten Bäckermeister Dithmarschens. Und das Schaumgebäck nennen wir ‚Baiser‘ – möge es die Münder der Dithmarscher erfreuen!“
Und so lebten sie glücklich und zufrieden und backten die besten Backwaren, sodass ihr Ruf sogar ins verfeindete Nordfriesland reichte. Und als der Vater starb, bekam er einen Grabstein, über dem immer eine kleine weiße Wolke schwebt.