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Wie die Deichgrafenrolle zu ihrem Namen kam

Wie ihr alle wisst, ist Dithmarschen ein Land, das geprägt ist von der Urgewalt des Meeres. Darum fing man auch schon früh an, Deiche zu bauen, um sich vor den Fluten der Nordsee zu schützen. War sie auch einerseits Lebensmittelpunkt der Dithmarscher, so bedrohte sie zugleich das Leben vieler Tausender Menschen. Denn mögen die Deiche auch noch so hoch sein, irgendwann bezwingt sie der Blanke Hans doch. Darum taten die Dithmarscher auch gut daran, sich Männer auszuwählen, die regelmäßig Deichschau hielten. Und für diesen ehrenvollen Posten erhielten sie den Titel Deichgraf.

Aber wie ihr alle wisst, die Deichlinie an der ganzen Küste ist lang, sehr lang, sodass auch dem aufmerksamsten Deichgrafen schon mal eine schadhafte Stelle entgehen konnte.
Aber so ein Deichgraf ist natürlich auch eitel und würde das nicht einfach so zugeben.

Nun begab es sich einst vor vielen, vielen Jahren, dass sich in der Backstube von Bäcker Kalle etwas sehr Merkwürdiges ereignete. Bäcker Kalle war wie immer fleißig in seiner Backstube beim Backen, knetete seine Teige, ließ sie ruhen und schob sie dann in den Ofen. Nach einer gewissen Zeit pflegte er immer in den Ofen zu schauen, ob denn die Temperatur stimme und die Brote schön aufgehen. Da glaubte er plötzlich seinen Augen nicht zu trauen, denn statt vieler knuspriger Brote sah er, wie in seinem Ofen Fische umhersprangen, als würden sie sich munter im Wasser tummeln. Kalle rieb sich seine Augen, schaute erneut in den Ofen und nun waren da wieder seine Brote, wie es sich gehörte. „Nun, ich bin wohl ein bisschen übermüdet“, dachte er sich, schüttelte den Kopf und vergaß sogleich die seltsame Vision.
Die nächsten Tagen verliefen wie gewohnt, Kalle hatte das Ereignis längst vergessen. Doch eines Tages, er wollte gerade Brötchen in den Ofen schieben, sah er es wieder: Fische schwammen durch seinen Ofen. Bäcker Kalle geriet in Panik, musste er doch wohl an seinem Verstand zweifeln. Er wagte einen zweiten Blick – und wieder waren da nur die Backwaren. Er geriet ins Grübeln und erinnerte sich dunkel an eine uralte Dithmarscher Legende, in der einer Frau genau dies widerfahren war: Sie sah in ihrem Backofen Fische schwimmen. Der Legende nach solle dies eine Art Prophezeiung sein, die auf nahendes Unheil durch die Nordsee hindeute. „Kann das sein?“, fragte sich Kalle. „Droht uns allen eine Sturmflut?“. Doch er beschloss, dies als Hirngespinst abzutun und erst einmal darüber zu schlafen.

Und wieder gingen ein paar Tage ins Land und Bäcker Kalle vergaß die Geschichte wieder. Aber wie es so kommt im Leben, es passierte wieder; just als er dabei war, eine neue süße Leckerei zu backen, sah er die Fische wieder durch den Ofen schwimmen. Nun glaubte auch er, dass dies wohl doch ein Wink des Schicksals sei. Doch was sollte er tun? Ihm fiel der Deichgraf ein, der richtige Mann. Schnurstracks trugen ihn seine Beine zum Deichgrafen, dem er aufgeregt von seiner Vision erzählte. Der aber lachte nur und rief: „Willst du mich auf den Arm nehmen?“ Aber Kalle versicherte ihm, dass ihm eine innere Stimme bestätigte, dass man dies als Warnung auffassen solle und fragte den Deichgrafen, ob er nicht zur Sicherheit die Deiche überprüfen wolle, schließlich stünde der Herbst mit seinen Stürmen bevor. „Ach was“, antwortete der Deichgraf, „ich war im Sommer draußen, da ist alles in Ordnung!“ Aber Kalle blieb hartnäckig und bedrängt den Deichgrafen, aber der Deichgraf setze ihn kurzerhand vor die Tür.

„Was nun?“, dachte sich Kalle und hatte schon eine Idee. Flugs berief er die Gemeinderäte der größten Dithmarscher Gemeinden ein und schilderte ihnen seine Vision und die Legende. Zunächst waren alle skeptisch, aber die Dithmarscher sind nun mal auch sehr abergläubisch und so wurde ihnen allen etwas mulmig. Und so zogen sie gemeinsam aus, um noch einmal mit dem Deichgrafen zu sprechen. Der aber blieb stur.
Die Dithmarscher berieten sich wieder und kamen einstimmig zu dem Beschluss: Ein neuer Deichgraf muss her, einer mit mehr Verantwortung, einer von ihnen. Nach langem Hin und Her fiel die Wahl auf einen besonnenen Mann, ein Gemeindemitglied aus Marne, der schon oft mit seinen weisen Ratschlägen weitergeholfen hatte. Mit ihm zogen sie zum alten Deichgrafen und erklärten ihm ihren Beschluss. Der tobte und randalierte so sehr, dass man ihn sogar ins Gefängnis stecken musste. Der neue Deichgraf hingegen machte sich schon am nächsten Tag auf seinem Schimmel auf zur Deichschau, was mehrere Tage dauerte. Und tatsächlich – er fand so manche schadhafte Stelle, die bei einer Sturmflut unweigerlich zum Bruch des Deiches geführt hätte. Flugs machten sich die Dithmarscher daran, ihre Deiche instand zu setzen. Nun konnten Herbst und Winter kommen. Und tatsächlich tobte schon in den ersten Herbsttagen ein gewaltiger Sturm, der die Nordsee an die Deiche schlagen ließ, bis hoch an die Krone. Aber die Deiche hielten.

Und weil sie einen neuen verständigen Deichgrafen gefunden hatten, der sogar den abenteuerlichen Geschichten eines Bäckers glaubte, feierten sie ein großes Fest. Und Bäcker Kalle ließ sich extra dafür ein Rezept für eine besondere Köstlichkeit einfallen: Eine leichte Biskuitrolle mit samtiger Marzipan-Creme-Füllung mit einem Überzug aus reinem Marzipan und Kakao, die – einem „Grafen“ würdig – zukünftig Deichgrafenrolle heißen sollte. Und dafür wiederum liebten die Dithmarscher ihren Bäcker und ließen ihn hochleben!

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