Bäcker mit Laib und Seele
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Wie die Heißewecken erfunden wurden

Heißewecken

Vor vielen, vielen Jahren, in einer Zeit, als man allgemein eigentlich noch gottgefällig und bescheiden lebte, taten sich die Dithmarscher schwer, streng nach dem Gesetz Gottes zu leben. Das war natürlich der Kirchenobrigkeit ein Dorn im Auge, dass es an der Gottgefälligkeit der Dithmarscher mangelte, und so beschlossen Pröbste, Bischöfe und Pastoren, dass die liederlichen Zeiten ein Ende haben mussten.
Sie erließen das Gebot, dass von Aschermittwoch bis Ostern die Fastenzeit aufs Strengste einzuhalten sei. Kein Fleisch, kein Fisch, kein Bier, keine kulinarischen und anderen Sünden.
Bei Missachtung drohten schwere Strafen; so wollte man sich die Dithmarscher, die stets zu Ungehorsam und Aufbegehren neigten, gefügig machen.
Das traf die Dithmarscher natürlich hart, waren sie doch ein Volk, das zwar auch schwer arbeiten konnte, aber genauso wusste, wie man das Leben genießen konnte. Und die Aussicht, wochenlang nur Wasser, Brot und Kohl zu essen, war nicht wirklich verlockend.

Da war guter Rat teuer.
Aber plietsch, wie die Dithmarscher nun mal sind, reiften im Verborgenen bald die ersten Pläne, die von Mund zu Mund weitergetragen wurden. Jede Stadt und jedes Dorf sollte einen Repräsentanten wählen, der dann zu einem geheimen Treffen im Herzen von Marne geschickt wurde. Dort ersann man folgenden Plan: Alle Bäcker im Lande sollten ein leckeres Gebäck ersinnen, das bescheiden und gottgefällig vom äußeren Anschein sein sollte, aber gehaltvoll und köstlich vom Geschmack. In einer Woche schon sollten die ersten Gebäckstücke präsentiert und verkostet werden und das beste ausgewählt werden. Dann hätten die Bäcker reichlich Zeit, um sich für den vorösterlichen Ansturm zu rüsten.

Gesagt, getan – alle Bäcker machten sich frisch ans Werk.
Auch Bäcker Karl war mit dabei. Heikle Angelegenheiten besprach er gern mit seiner Frau Hedwig, der er immer die besten Ideen verdankte. Nach Feierabend saßen die beiden also in ihrer Backstube zusammen und überlegten, wie man das Fastengebot geschickt umgehen konnte. „Bescheiden und unscheinbar muss das Gebäck wirken, auf keinen Fall protzig“, meinte Karl. „Ja, und es darf auch nicht so wirken, als es sei besonders gehaltvoll“, ergänzte Hedwig. „Aber gut schmecken soll es trotzdem, und satt werden soll man auch“, warf Bäcker Karl noch ein.
Sie überlegten und überlegten … und schließlich sollten es diese Zutaten sein – denn dass die verboten waren, stand nirgends geschrieben -: Mehl, Wasser, Pflanzenfett, Eier, Milch, Hefe, eine Prise Salz, etwas Zucker (nicht zu viel, denn das wäre ja schon wieder Völlerei), dafür aber Rosinen – denn das fällt ja unter Obst und gibt ganz unauffällig auch noch ordentlich Süße an den Teig.
Noch in der Nacht machte sich Kalle daran, daraus einen Teig zu entwickeln. Zunächst formte er klassische Brötchen, aber Hedwig gab zu bedenken, dass das doch etwas zu üppig aussehen würden. Kurzerhand schlug sie verschmitzt vor: „Klopf den Teig doch flach, so ähnlich wie kleine Fladen, und ohne sie groß zu formen, das sieht dann ein bisschen ‚ärmlich‘ aus, ganz im Sinne der Kirchenmänner!“
Und so machten sie sich daran, die flachen Brötchen auf dem Blech zu verteilen, in den Ofen zu schieben und ungeduldig darauf zu warten, bis sie fertig sind.
Kaum waren sie etwas abgekühlt, probierten Kalle und Hedwig ihre Backware … und waren begeistert! Von außen unspektakulär und durchaus wie eine Fastenspeise aussehend, von innen: purer Genuss – leicht, lecker, nicht zu süß.
Beide freuten sich über ihre Erfindung. Schon am nächsten Tag besorgten sie sich einen Vorrat an Zutaten, sodass sie am Tag der Präsentation mehrere Körbe voll mitbringen konnten.

Gespannt erwarteten sie das Ergebnis der Verkostung, denn die anderen Bäcker waren alle mit eher klassischen Backwaren dahergekommen – allesamt viel zu üppig im Aussehen.
Als dann die Repräsentanten verkündeten, dass nun die beste Backware bekannt gegeben werden sollte, wurden Kalle und Hedwig ganz aufgeregt.

Deichgraf Ingwer Ingwersen ergriff das Wort: „Wir haben alle Backwaren verkostet und überzeugt hat uns der süße Fladen von Bäcker Kalle! Herzlichen Glückwunsch! Wie heißt dein neues Gebäck?“

Bäcker Karl war gerührt, aber er stotterte rum, denn über einen Namen hatte er sich noch gar keine Gedanken gemacht: „Ähm … ich danke Euch … das sind … ähm … Wecken … also …“, er sah zu seiner Frau, „… HEDWIGS Wecken“ – genau: Hedwigs Wecken!“
„So sei es!“, sprach der Deichgraf. „Dies ist nun unsere neue Fastenspeise! Und da niemand von den Pröbsten, Bischöfen und Pfaffen uns Butter und Milch verboten hat, mag jedermann ganz nach seinem Geschmack seine Hedwigs Wecken mit zerlassener Butter und warmer Milch verfeinern!“
Und so tricksten die Dithmarscher die Kirchenobrigkeit mit einer nahrhaften und köstlichen Fastenspeise aus und waren Bäcker Karl und seiner Frau Hedwig so dankbar, dass so mancher ihnen während der Fastenzeit kleine, eigentlich verbotene Leckereien zusteckte. Und auch heute isst man Hedwigs Wecken, die im Volksmund im Laufe der Zeit zu „Heißewecken“ wurden, immer noch gerne.

Im mittlerweile modernen Dithmarschen genießt man sie sogar ganz unchristlich mit herzhafter Mettwurst.

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