Bäcker mit Laib und Seele
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Das Geheimnis des Inselstutens

… wenn man über die Nordsee fährt, hört man manchmal aus den Tiefen den unheimlichen Klang von Schalmeien und schauriges Gelächter klingen …

Vor vielen, vielen Jahren, in den Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hatte, gab es einst eine Insel vor der Dithmarscher Küste. Weit draußen in der Nordsee, umgeben von rauen Winden, brausenden Wellen und dem Schreien der Möwen, behauptete sich diese Insel wie eine Festung. Die Leute, die dort lebten, waren geschickt und schlau und hatten sich über Generationen hinweg Wohlstand geschaffen. Sie lebten dort ganz für sich, und alles, was dort wuchs, gedieh prächtig, und alles, was die Inselbewohner erschufen, mehrte ihren Ruhm und Glanz. Sie trieben Handel mit fernen Völkern, und die Dithmarscher an Land beneideten sie. Man hatte schon viele Boten ausgesandt, um das Geheimnis des Inselvolkes zu erkunden, doch niemand war je zurückgekommen.
Und so kam der Tag, an dem der Dithmarscher Rat beschloss, wieder einen Freiwilligen auszusenden, der erkunden sollte, was den Inselbewohnern zu Reichtum und Wohlstand verhalf. Aber keiner wollte es wagen. Und so sollte das Los entscheiden. Man warf die Namen aller ledigen jungen Männer in einen Topf und der Ratsälteste zog das Los. Es traf den Sohn des Bäckers Kalle.
Man rüstete ihn mit Vorrat und Wasser aus, gab ihm ein Boot und wünschte ihm Glück. Mit der Morgenflut stach er in See. Der Tag verging, die Insel war nicht in Sicht. Er segelte weiter die ganze Nacht und dann im Morgensonnenschein sah er am Horizont die Umrisse einer Insel. Erst am späten Nachmittag konnte er an Land gehen. Die Insel war flach, ragte nur wenige Meter aus dem Meer, aber sie war groß und golden, wie ihm schien. Denn auf wunderbare Weise wuchsen hier endlose Weizenfelder neben goldblühendem Raps. Der Weizen reifte schon und gleichzeitig blühte der Raps. „Das muss ein Wunder sein“, dachte der Bäckersohn und grub ein paar Rapspflanzen aus und erntete von den Weizenkörnern und verstaute diese in seinem Boot. Dieses Wunder wollte er später den Dithmarschern daheim zeigen.
Am anderen Ende der Insel, hinter den Feldern, sah er die Silhouette einer Stadt. Und weil es langsam dämmerte, marschierte er munter darauf zu. Je näher er der Stadt kam, desto lauter würde es. Ein munteres Völkchen schien das zu sein, ging ihm durch den Kopf. Ungehindert konnte er die Stadt betreten. Keine Stadtmauer schützte sie und kein Deich schützte sie vor dem Meer. „Das muss wohl ein gesegneter Ort sein“, glaubte der Bäckersohn, als er sich so umsah. Überall herrschte munteres Treiben. Spielleute mit Schalmeien zogen durch die Straßen, in den Schenken wurde lustig gezecht, man sang und tanzte. Ungläubig ließ er sich durch die ausgelassene Menschenmenge treiben. Es war eine stattliche Stadt, mit goldverzierten Dächern, viel Prunk, und die Menschen trugen edle Gewänder. Jedermann schien hier reich und glücklich zu sein. Und der Bäckerssohn ließ sich davon anstecken und feierte mit, die ganze Nacht hindurch. Und als es Tag wurde, ging das lustige Leben weiter. Niemand schien zu arbeiten, alles gedieh wie von Zauberhand ganz allein.
Da wurde es dem jungen Bäckersohn schwer ums Herz, denn wie mühsam war das Leben in Dithmarschen, voll Arbeit und Mühe, und den Feldern musste man seine Früchte abtrotzen. Warum war das Leben so ungerecht? Waren die Dithmarscher denn nicht immer gottesfürchtige Leute gewesen? Und hier fand er nicht mal eine Kirche und dennoch schienen alle glücklich und zufrieden zu sein. Dem wollte er auf den Grund gehen und fasste sich ein Herz und sprach den erstbesten Edelmann an. „Verzeiht, werter Herr, wollt ihr mir das Geheimnis eurer Insel verraten?“ Der Angesprochene blickte zunächst verwundert und musterte die armselige Gestalt des Bäckersohns: „Du bist nicht von hier?“ „Nein, Herr. Die Kunde vom Wohlstand eurer Insel drang bis zu uns aufs Festland, und ich bin hier, um zu erfahren, wie auch wir so ein prächtiges Leben in Überfluss und Luxus führen können.“
Da lachte der Edelmann höhnisch und meinte: „Da bist du nicht der Erste. Schon viele waren hier, und keiner konnte widerstehen. Alle sind sie hiergeblieben.“ Der Bäckersohn wusste nicht so recht, was er davon halten sollte und sprach: „Wohlan, dann zeigt es mir, damit ich die Kunde in die Welt tragen kann.“ „Dann komm – aber sei gewarnt!“, erwiderte der Herr und gab ihm das Zeichen, ihm zu folgen. Auf verschlungenen Wegen verließen sie die Stadt und kamen zu einem Turm, den der Bäckersohn zunächst für einen Leuchtturm gehalten hatte, denn im Inneren konnte man ein ewiges Licht brennen sehen, das hell loderte.
Der Mann öffnete die Tür und ließ ihn eintreten.

Heiß war es hier drin und die Flammen tanzten und verbrannten einen doch nicht. Dem Bäckersohn wurde es bang ums Herz, als er sich umschaute. Denn inmitten der ewigen Flammen stand ein Götzenbild, grausam anzusehen, aus uralter Zeit, als die Menschen noch keinen Gott kannten. Angst erfasste ihn und plötzlich wusste er, dass die Bewohner der Insel all ihre Pracht dem Satan verdankten, ihm hatten sie sich verschrieben. Und schon schienen die Pranken des Götzen nach ihm zu greifen, und in seiner Not zog er sein Kreuz, das er um den Hals trug, hervor und hielt es gegen das Götzenbild, sank auf die Knie und betete in seiner Not zu seinem Herrgott.
Und mit einem Mal barsten die Wände des Turms und ein Sturm erhob sich und Gottes Zorn kam über die Insel.
Der Bäckersohn floh, verfolgt vom Gelächter der hochmütigen Inselbewohner, erreichte sein Boot und segelte davon. Und beim Zurückblicken sah er noch, wie einer riesige Welle die Insel mit all ihren sündigen Bewohnern auf immer verschlang.
Zurück in Dithmarschern berichtete er all das seinen Landsleuten. Und dann fiel ihm ein, dass er ja Samen und Pflanzen mitgenommen hatte. Und weil er so gottesfürchtig war und sich nicht hatte vom Pfad der Tugend abbringen lassen, ging die Saat in Dithmarschen auf und Weizen und Raps vermehrten sich auf den Feldern bis in alle Zeiten.

Und weil dies das einzig Gute war, das von den Inselbewohnern übriggeblieben war, nannte man das Brot, das Bäcker Kalle und sein Sohn aus dem Weizen und dem Rapsöl buken, Inselstuten. Denn es sollte die Dithmarscher immer daran erinnern, fleißig und rechtschaffen zu bleiben.

 

 

 

 

 

 

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