Bäcker mit Laib und Seele
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Tante Minnas Schmoltnöt

 

Die Jahre vergingen und Meister Karl ging seiner Arbeit redlich weiter nach und beglückte seine Kundschaft täglich aufs Neue mit frischen Qualitätsbackwaren aus seiner Backstube.

Obwohl seine Kundschaft seine Backwaren liebte, und er mit Freude täglich seinem Handwerk nachgehen konnte, spürte er, dass sein Absatz stagnierte und teilweise sogar zurückging.

Die Leute vom Land zog es halt mehr und mehr in die aufstrebende Stadt Marne im Zentrum Süderdithmarschens. Es wurde ihm bewusst, dass er sich mit seiner Backstube verändern musste, um weiterhin erfolgreich seiner Leidenschaft des Backens nachgehen zu können. Und so bewarb Meister Karl sich für ein Grundstück in einem neuen Bebauungsgebiet in Marne, um hier seine Bäckerei zu errichten.

Der gute Ruf von Karls Backwaren war auch den Marnern zu Ohren gekommen, und so war ihm das Glück hold und die Marner erteilten ihm die Baugenehmigung für seine neue Backstube.

Etliche Kunden aus dem Koog kauften weiter bei ihm ein, und er gewann zudem neue Kunden aus Marne hinzu. Die Geschäfte liefen prächtig, seine Entscheidung war wohl richtig gewesen.

Nur jedes Jahr zur Weihnachtszeit wurde Meister Karl immer wieder in seiner Bäcker-Ehre gekränkt. Denn in der Adventszeit brachten traditionell die Hausfrauen ihren Hausback in seine Backstube. Deren Adventsgebäcke backte er in seinem Ofen gegen ein kleines Entgelt ab. Die Hausfrauen brachten die unterschiedlichsten Gebäcke zu ihm in üblichen Haushaltsmengen. Doch bei Minna Behrens war es anders. Tante Minna, so wurde die liebenswerte Dame aus direkter Nachbarschaft genannt, brachte immer große Menge von wittem und brunem Schmoltnöt-Teig zum Abbacken zu Karl. Es war stets so viel, dass die aus dem Teig abgenommenen Schmoltnöt den ganzen Ofen bei Karl belegten. Und Tante Minna kam in der Adventszeit nicht nur einmal, nein, Tante Minna lieferte jede Woche bis Weihnachten ihren leckeren Schmoltnötteig in der Backstube an. Innerlich grummelte Meister Karl, wenn er Tante Minnas wohlduftende Schmoltnöt wieder und wieder aus seinem Ofen ziehen musste.

Karls Gedanken kreisten um die leckeren Schmoltnöt von Tante Minna. Verschenkte Tante Minna ihre Schmoltnöt oder verkaufte sie diese sogar? Sollte er den Hausback von Tante Minna zukünftig ablehnen? Denn eigentlich sollten die Kunden doch bei, dem Bäcker vor Ort, die Schmoltnöt kaufen. Meister Karl empfand fast so etwas wie Neid.

So vergingen die Jahre; die Schmoltnöt-Mengen von Tante Minna wuchsen von Jahr zu Jahr stets ein wenig an. Meister Karl fügte sich seinem Schicksal und backte weiter den Hausback von Tante Minna ab.

Doch dann geschah es, dass nach etlichen Jahren Tante Minna erstmalig ohne Schmoltnötteig in seine Backstube kam. In ihrer Hand hielt dafür sie einen vergilbten, mit Margarine und Mehl besprenkelten, handgeschriebenen Zettel.

Sie ging wie immer mit ihrem warmherzigen Lächeln direkt auf Meister Karl zu, ja sie umarmte ihn sogar, und sprach Karl an: „Meister Karl, ich möchte mich bei Ihnen bedanken. Jahr für Jahr haben Sie stets meine Schmoltnöt für mich abgebacken. Ich weiß, dass Sie den großen Mengen oft argwöhnisch gegenüberstanden. Doch Sie haben es stets für mich mit ihrem handwerklichen Können zu voller Zufriedenheit aller abgebacken. Und ja … Sie haben mir damit sehr geholfen, denn so konnte ich Jahr für Jahr meine bescheidene Witwenrente mit den leckeren Schmoltnöt aufbessern. Und nun, lieber Meister Karl, bin ich so alt, dass ich keinen Teig mehr rühren kann und es an der Zeit ist, Danke zu sagen.“

Und sodann übergab Tante Minna ihr handgeschriebenes Schmoltnöt-Rezept an Meister Karl.

Karl war sprachlos, denn es war ihm bewusst, was für einen Schatz er in seinen Händen hielt. Ein Schatz, der auch für seine nachfolgenden Generationen Gold wert sein würde. Und so bedankte sich Meister Karl etwas wortkarg mit einem einfachen Danke. Denn vor Aufregung brachte er fast keinen Ton heraus. Doch Tante Minna erkannte in seinen Augen sich bildende Glückstränen, seine Backen liefen rot an und er stand wie eine Salzsäule vor Tante Minna. Und so ging Tante Minna mit einem guten Gefühl. Sie wusste, dass ihr Rezept bei ihm in guten Händen ist und man ihre Schmoltnöt auch in folgenden Generationen nach ihrer Art genießen würde.
Aber das Geheimnis über die Zutaten, die die Schmoltnöt so einzigartig machen, behielten Karl und all seine Nachfahren für sich – im liebevollen Gedenken an Tante Minna.