Einst in alten Zeiten, als die Not groß war, versuchten auch die Dithmarscher in See zu stechen und ihr Glück im Walfang zu finden. Die Frauen nähten Tag und Nacht Segel, Netze und wetterfeste Kleidung, die Männer hobelten, sägten, schleiften und hämmerten, um ihre Schiffe hochseetüchtig zu machen. Harpunen wurden geschmiedet, Messer, Säbel und Dolche gewetzt, um auch gegen Piraten gewappnet zu sein. Die Dithmarscher waren bereit, wäre da nicht noch ein kleines Problem gewesen, das eigentlich ein großes war: Was sollte man als Vorrat mit an Bord nehmen? Es stand ihnen eine lange und beschwerliche Reise bevor. Frauen durften traditionell nicht an Bord eines Walfängers, und keiner der Männer hatte das Talent, in der Kombüse zu stehen und für eine ganze Mannschaft zu kochen. Und so setzen sich die zukünftigen Walfänger zusammen, um sich zu beraten: Haltbar musste das Essen sein, aber trotzdem wohlschmeckend. Schnell hatte man sich geeinigt: Trockenfleisch, Sauerkraut, Räucheraal und Dörrfisch, getrocknete Äpfel, Fässer mit Butter.
Man war zufrieden. Und wenn man noch ein paar Fässchen Kümmel mit an Bord packte, konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen.
„Aber was ist“, rief plötzlich Fischer Jan in die Runde, „mit Brot? Mit gutem Dithmarscher Brot!“
Man muss wissen, dass die Dithmarscher seit je her sehr verwöhnt waren, was ihr täglich Brot betraf, denn es schmeckte auch vorzüglich, wenn es aus dem goldenen Weizen der Marschen gebacken wurde. „Ohne Brot sind wir keine echten Dithmarscher, da fehlt uns was!“ Schon sah man das Unternehmen gefährdet. Da erhob auf einmal der Deichgraf seine Stimme und gebot den Fischern Einhalt: „Passt auf, wozu haben wir denn unseren Bäcker Kalle? Der soll sich etwas einfallen lassen. Ein Brot, das lange haltbar ist, das aber gut schmeckt und nahrhaft ist. Das sollte er doch hinbekommen – sonst bekommt er eine ordentliche Abreibung, die er so schnell nicht vergessen wird.“
Sofort schickte man eine Abordnung zu Bäcker Kalle und überbrachte ihm die Aufgabe. Bäcker Kalle war irritiert. Wie sollte er das hinbekommen? Und würden seine Dithmarscher Brüder die Drohung des Deichgrafen wirklich wahr machen? Kalle überlegte und überlegte. Er nahm die besten Zutaten, die er noch hatte und bereitete daraus einen Tag: goldener Weizen, Butter, Eier, Buttermilch, etwas Zucker, Salz, Hefe und Malz. Er knetete und walkte den Teig, ließ ihn gehen, knetete noch einmal, ließ ihn wieder ruhen. Nun teilte er den Teig in viele kleine Teiglinge, denn er musste experimentieren, wie er das Brot haltbar bekam. Denn ein frisches Brot ist eben nun mal nur kurze Zeit frisch. Und draußen auf hoher See würde es schnell schimmeln oder zerfallen. Konnte man das Problem lösen, indem er die Teiglinge einfach länger backte? Er probierte es. Doch am Ende hatte er nur schwarze Klumpen.
Konnte man das Brot irgendwie konservieren? Mit Salz vielleicht? Kalle gab mehr Salz in den Teig und backte das Brot wiederum. Nein, nun war es zwar hell wie normales Brot, aber steinhart und nicht genießbar.
Bäcker Kalle war am Verzweifeln. Und weil er den guten Teig nicht verkommen lassen wollte, schob er erst einmal alle Teiglinge in den Ofen und backte sie ganz traditionell. Als er so dasaß und Trübsal blies, während er sich schon am Schiffsmast baumeln sah, kam sein Geselle Mark herein. „Meister, was sitzt ihr so traurig da?“ Kalle erklärte ihm seine verzweifelte Situation. Stunde um Stunde verging, ohne Lösung. Schließlich fiel beiden auf, dass der Ofen noch brannte und schon fast rotglühend war. Voller Wut schleuderte Kalle die köstlichen Brötchen alle in den Ofen und lief hinaus.
Das konnte nun der Geselle gar nicht mitansehen, dass gut Ware so vergeudet wurde, und rettete die Brötchen wieder aus dem Ofen; auch wenn sie etwas dunkel waren, ließen sie sich vielleicht noch verwenden.
Als am anderen Morgen Bäcker Kalle müde und verzweifelt in die Backstube kam, stieß er auf die geretteten Brötchen. Er sah sie, nahm sie ihn die Hand, brach sie entzwei: Sie waren herrlich kross und rösch und durch und durch gebacken. Sollte das die Lösung sein? Ein zweifach gebackenes Brot? Kalle musste es wagen. Um die dunkle Farbe etwas zu kaschieren, streute er noch Hagelzucker darauf und verpackte die Brötchen luftdicht in Blechkisten und versicherte den Seeleuten, dass dieses Brot ewig halten würde.
Die Fischer glaubten ihm und stachen in See. Je mehr aber die Zeit nahte, da die Seeleute zurückerwartet wurden, desto banger wurde es Kalle ums Herz. Aber ein Dithmarscher steht zu dem, was er tut, und so wartete er mit den anderen am Hafen die Ankunft der Seeleute ab. Nachdem man gemeinsam die Schiffsladungen gelöscht hatte und man ausgiebig gefeiert hatte, entdeckte der erste der Walfänger Bäcker Kalle in einer Ecke. „Hey du, komm raus da!“ Kalle zitterte, denn er meinte, nun habe sein letztes Stündlein geschlagen. „Du bist schuld …“, fing der Walfänger an zu sprechen, „… dass wir noch am Leben sind!“ „Wie, was? Was hast du gesagt?“, murmelte Kalle ungläubig vor sich hin. „Ja, du hast richtig gehört. Deine kleinen Gebäckstücke waren unsere Rettung. Bei einem Sturm flutete eine große Welle unseren Vorratsraum und alles wurde ungenießbar. Nur deine Gebäcke in den Blechkisten waren heil geblieben. Und die schmeckten auch noch gut! Wie ein Stück Heimat!“
Da glänzten die Augen von Bäcker Kalle und es erfasste ihn sogar so etwas wie Stolz, als plötzlich alle Seeleute ihn hochleben ließen und ihn feierten.
Und weil Bäcker Kalle im Koog wohnte und das Brot zweifach gebacken wurde, gab man seiner lebensrettenden Erfindung den Namen: Koogzwieback.
Und der begleitete fortan alle Seeleute auf großer Fahrt und wird auch heute noch von den Landratten gerne gegessen.